Die Nacht, in der das Fürchten wohnt,
hat auch die Sterne und den Mond.

(Mascha Kaléko)

Aus dem Griechi­schen: "die Wunde"

Das Wort Trauma

Das Wort Trauma entstammt dem Griechi­schen und bedeutet zunächst einmal sowas wie “die Wunde”. Auf rein körper­licher Ebene fällt es uns in der Regel relativ leicht nachzu­voll­ziehen, dass es ganz unter­schied­liche Varianten von Wunden und Verlet­zungen gibt. Es gibt kleine und große, oberfläch­liche oder tiefe, lokal begrenzte oder den ganzen Körper betreffende. Manche Wunden heilen schnell, gut und von alleine, während andere intensiv und andauernd schmerzen, vernarben, nur langsam und schlecht verheilen. Die einen schränken die betroffene Person so gut wie gar nicht oder nur sehr wenig ein, die anderen führen zu starken vorüber­ge­henden oder langan­dau­ernden Beein­träch­ti­gungen.

Wieder andere Wunden scheinen “nicht so wild” zu sein und führen vielleicht erst viel später im Leben zu Problemen – evtl. kann man sich dann nicht mal mehr wirklich an die urspüng­liche Verletzung so genau erinnern. Und wenn ich mir z.B. den Zeh stoße oder gegen die Tischecke laufe, kann das ordentlich weh tun, vielleicht gibt es auch einen blauen Fleck, der noch eine Weile an das Missge­schick erinnert, aber ich weiß, dass der Schmerz für gewöhnlich sehr bald ohne Folgen nachlässt.

Das, was uns auf körper­licher Ebene so naheliegend erscheint, gerät häufig in der Betrachtung von psychischen Wunden – Traumata – schnell in Verges­senheit. Hier scheint Trauma häufig mit dem schlimmsten aller Fälle gleich gesetzt zu werden, ohne all die indivi­du­ellen und zahlreichen Facetten, die es auch bei psychischen Wunden gibt, zu sehen. Und auch bei psychisch-schmerz­vollen Erfahrungen ist es so, dass es sowas wie „einen gestoßenen Zeh“ gibt – also Erfahrungen, die unangenehm sind, aber ohne größere, andauernde Wunde – Trauma – verlaufen.

Darüber hinaus haben wir es bei seelischen Wunden in unserer Gesell­schaft leider immer noch viel zu oft mit Stigma­ti­sierung und Berüh­rungs­ängsten zu tun. Während bei körper­lichen Verlet­zungen und Wunden, die die Hausapo­theke überfordern, i.d.R. ärztliche Hilfe aufgesucht wird, scheint es immer noch nicht zur Selbst­ver­ständ­lichkeit geworden zu sein, dies auch bei psychischen Verlet­zungen und Wunden zu tun. Und wenn man sich Hilfe sucht, heißt das leider nicht unbedingt, dass eine psychische Ursache für die Symptome in Betracht gezogen oder man damit ernst genommen wird bzw. die betroffene Person selbst eine solche Ursache annehmen kann.

Traumata sind vielleicht die am meisten gemiedenen, ignorierten, verharm­losten, verleug­neten, missver­stan­denen und unbehan­delten Ursachen mensch­lichen Leidens.

(Peter A. Levine)

Unter­­schie­d­­liche & irrefüh­rende Verwen­­dungen des Wortes Trauma

Was ist Dein Bild von Trauma?

Die umgangs­sprachlich doch sehr unter­schied­liche Verwendung des Wortes Trauma kann durchaus zu Irrita­tionen führen. Es zeigt, wie weit wir immer noch von einer trauma­in­for­mierten und -sensiblen Gesell­schaft entfernt sind.

Häufig wird bei dem Wort Trauma sofort und ausschließlich an die schlimmsten katas­tro­phalen Ereignisse (wie Krieg, Folter, Missbrauch, Natur­ka­ta­s­trophen,…) gedacht, die man sich nur ausmalen kann. Wenn diese Vorstellung so verbreitet ist, ist es durchaus nachzu­voll­ziehen, dass manche Menschen sich über die scheinbar infla­ti­onäre Verwendung dieses Begriffes beschweren.

Wie Gabor Maté in seinem Buch „Der Mythos des Normalen“ treffend beschreibt, führt dieses Bild von Traumata zu einem unbeab­sich­tigten und irrefüh­renden Effekt – nämlich der Vorstellung, dass Traumata etwas abnormales, unübliches und außer­ge­wöhn­liches seien. Somit ensteht die Idee, dass nur eine spezielle Gruppe von Menschen betroffen wäre, die wir als trauma­ti­siert bezeichnen, wohingegen die meisten von uns nicht betroffen sind. Gabor Maté legt dar, dass das Gegenteil der Fall ist.

Der Sonderfall in unserer Gesell­schaft wäre die Person, die nicht von einer trauma­ti­schen Erfahrung geprägt ist: vom indivi­du­ellen Erleben über soziale Beziehungen bis hinzu Bereichen wie Erziehung, Bildung, Politik, Popkultur und Wirtschaft ist unsere gesamte Kultur von Traumata durch­drungen – so Gabor Maté. Und Peter Levine schreibt: Trauma­tische Erfahrungen sind eine unver­meidbare Tatsache des Lebens – aber es ist möglich, vor der Entwicklung eines Langzeit­traumas zu bewahren.

Ebenfalls irreführend ist die Verwendung des Wortes Trauma, wenn eigentlich Alltagsstress gemeint ist. Zwar gehen trauma­tische Ereignisse immer mit Stress und Aktivierung des Nerven­systems einher, aber nicht jede stressige Erfahrung hat eine trauma­ti­sie­rende Wirkung.

In der Schul­me­dizin bezeichnet die Posttrau­ma­tische Belas­tungs­störung (PTBS) eine Kombination aus Symptomen, die (laut Definition) nach einem Ereignis außer­ge­wöhn­licher Bedrohung oder katas­tro­phen­ar­tigen Ausmaßes auftreten. Hin und wieder werden “Trauma” und “PTBS” als Synonym gebraucht, obwohl die PTBS eigentlich eine extreme Form der Trauma­folge ist und sich bei weitem nicht jedes Trauma in einer PTBS äußert.

Die Definition von Trauma

Was bedeutet Trauma?

Die Definition von Trauma beschreibt nicht das schwierige oder schmerz­hafte Ereignis selbst, sondern viel mehr das, was sich im Inneren der Person durch dieses Ereignis abspielt. Es handelt sich also um eine psychische Wunde durch das belastende oder verletzende Ereignis. Das Ereignis ist das, was einem passiert ist, doch die Verletzung ist das, was im Nerven­system, Körper und Geist zurück­bleibt und dort, wenn diese Wunde nicht heilt, jederzeit wieder Schmerzen verursachen kann – und zwar auch noch Jahrzehnte später. Nur wenn eine anhaltende psychische und/oder physische Einschränkung und Beein­träch­tigung durch das Ereignis eintritt, wird dieses als traumatisch bezeichnet.

Trauma ist nicht gleich Trauma

Das Trauma­spektrum

Das Spektrum von Traumata ist breit­ge­fä­chert. Es gibt Traumata, die Reaktionen und Anpas­sungs­leis­tungen auf spezifische, identi­fi­zierbare, verletzende und überwäl­ti­gende Ereignisse von Körper und Geist umfassen. Hierzu gehören neben den katas­tro­phalen Ereignissen (alters­unabhängig) auch in der Kindheit erlittene trauma­tische Ereignisse wie z.B. Missbrauch, jede Form von Gewalt und schwere Vernach­läs­sigung in der Herkunfts­fa­milie sowie der Verlust eines Elternteils aber auch Armut, Rassismus oder Unter­drü­ckung.

Viel häufiger jedoch sind Traumata, die Gabor Maté als nahe zu universell in unserer Kultur beschreibt, bei denen von scheinbar alltäg­lichen Ereignissen langan­hal­tende Spuren in der Psyche eines Kindes zurück­bleiben können: z.B. Mobbing, unzurei­chende emotionale Verbindung zu wichtigen Bezugs­per­sonen, wiederholte wohlmei­nende, aber schroffe Äußerungen und neben dem Schlimmen, was dem Kind widerfährt auch das Gute, das ihm vorent­halten wird (z.B. sich gesehen und akzeptiert fühlen). Wenn also zentrale Bedürfnisse des Kindes (ggf. auch schon pränatal) nicht erfüllt werden (können), kann es ganz ohne Unglück oder offen­sicht­liches Leid zu einer schmerz­haften Abkopplung vom Selbst kommen.

Darüber hinaus gibt es Traumata, deren Auslöser Peter Levine als subtile Ursache bezeichnet. Obwohl es sich um scheinbar gewöhnliche Ereignisse handelt, gehen sie viel häufiger mit trauma­ti­schen Auswir­kungen einher als wir erwarten. Subtile Ursachen können z.B. kleinere Autounfälle mit Blech­schäden sein, insbe­sondere wenn ein Schleu­der­trauma damit verbunden ist.

Es zählen auch invasive ärztliche oder zahnärzt­liche Unter­su­chungs- und Behand­lungs­maß­nahmen (insbe­sondere wenn festge­halten/fixiert oder narko­ti­siert wird), Stürze und andere “gering­fügige” Verlet­zungen insbe­sondere bei Kindern und älteren Menschen sowie eine länger andauernde Ruhig­stellung durch Gips oder Schienen (insbe­sondere bei Kindern) dazu. Weitere Beispiele für mögliche subtile Ursachen sind hohes Fieber und bei kleinen Kindern und Säuglingen das Allein­ge­lassen werden oder extremen Tempe­ra­turen ausgesetzt zu sein.

Das Spektrum mensch­licher Erfahrungen und somit auch das von Traumata ist groß und die Grenzen sind im täglichen Leben fließend und nicht leicht zu ziehen. Doch letzlich ist dies auch nicht erfor­derlich, denn Leid lässt sich nicht mit dem Leid anderer vergleichen oder gar messen.

Behandeln wir ein Trauma als ein Ereignis, das von außen wirkt, als etwas, das mit uns oder um uns herum geschieht, dann wird es zu einem Bestandteil der Geschichte, den wir nicht mehr loswerden können. Wenn wir das Trauma hingegen als etwas betrachten, das als Folge eines Ereignisses in uns statt­ge­funden hat, im Sinne einer Verwundung oder Entfremdung, können wir geheilt werden und uns wieder annähern.


(aus: “Vom Mythos des Normalen: Wie unsere Gesell­schaft uns krank macht und trauma­ti­siert – Neue Wege der Heilung” von Gabor Maté mit Daniel Maté)

Was trauma­tische Ereignisse in uns auslösen

Trauma­folgen

Die Folgen eines Traumas können sich als disso­zi­ierte, verleugnete und in den eigenen Schatten verbannte Energien und “Körperer­in­ne­rungen” fortsetzen und auch wiederholen. Trauma­folgen sind Anzeichen dafür, dass das Erlebte Zusam­men­hänge zersprengt und uns von uns selbst abgespalten hat sowie auch die Verbindung zu anderen Personen und unserer Umwelt erschwert.

Die Trauma­folgen zeigen sich wie zersplit­terte Erinne­rungen, die sich hin und wieder in oft unange­nehmer Weise zeigen. Dies ist keine freie und willent­liche Entscheidung, sondern viel mehr von dem Teil des Selbst ausgehend, der als Traumafolge im Dunklen, im Unbewussten, im Schatten,… gehalten wird.

Trauma kann u.a. dazu führen, dass …
  • man im Kopf lebt und den Körper von sich entkoppelt.
  • die Instinkte und die reakti­ons­aus­lö­senden Emotionen unterdrückt werden.
  • die Reakti­ons­fle­xi­bi­lität beein­trächtigt ist – also die Fähigkeit zwischen Stimulus und Reaktion innezu­halten und eine Wahl zu treffen.
  • man ein verzerrtes Weltbild und/oder ein scham­be­haf­tetes Selbstbild entwickelt.
  • man sich von der Gegenwart entfremdet.
  • die Fähigkeit beein­trächtigt ist, mit Meinungen, Vorge­hens­weisen und Handlungen anderer umzugehen, die von den eigenen abweichen.

Längst ist bekannt, dass im gesamten weiteren Verlauf des Lebens ungelöste Traumata – egal wie lange das Ereignis zurückliegt – allerlei Krankheiten mitver­ur­sachen oder begünstigen können. Frühkind­liche Traumata können sogar zu Beein­träch­ti­gungen der gesunden Entwicklung des Gehirns und struk­tu­rellen Verän­de­rungen des Nerven­systems führen.

Trauma ist heilbar und der Mensch besitzt die angeborene Fähigkeit dazu. Der Heilungs­prozess kann ein Katalysator für tief greifendes Erwachen sein – ein Türöffner für emotionale und echte spirituelle Trans­for­mation.


(Peter A. Levine)

Auswir­kungen von Traumata gehen über das indivi­duelle Leid hinaus

Es betrifft uns alle!

Ein Aspekt, der häufig in Zusam­menhang mit Traumata anzutreffen ist, ist die verminderte Fähigkeit die Meinung, Denkweise, Ansichten und das Handeln anderer akzeptieren zu können, wenn diese nicht den eigenen Vorstel­lungen entsprechen. Für ein trauma­be­dingt aktiviertes System kann ein “weil es anderes ist” ausreichen, um es automatisch als bedrohlich einzuordnen – völlig unabhängig davon wie hoch das reale Risiko der Bedrohung gerade ist.

Die trauma­be­dingte Trennung und Spaltung – von uns selbst, anderen und der Umwelt – führt zu einer Dualität (einem “entweder oder” und extremen “schwarz-weiß-Denken”), die mit der unglaub­lichen Kraft und Energie des ungelösten Traumas einhergeht. Eine Polarität (ein “sowohl als auch”), die die Gesamtheit mit all ihren Extremen und all dem dazwischen als ein untrenn­bares Ganzes und die Vielfalt als Berei­cherung betrachtet, ist dann nicht mehr möglich.

Oft sind auch unerfüllte Bedürfnisse nach Sicherheit, Gebor­­genheit, Zugehö­­rigkeit und/oder Autonomie in Trauma­­ge­­schehen involviert. Unsere Sehnsucht nach diesen unerfüllten Bedür­f­­nissen – nicht selten aus der Kindheit – werden ganz bewusst und gezielt von profit­­gierien Unter­nehmen angezapft und immer nur gerade soweit bedient, dass das Bedürfnis fast erfüllt ist. Somit erschaffen sie absichtlich eine Sucht und lassen uns glauben, nur ein bisschen mehr hiervon oder davon und das Bedürfnis wird endlich erfüllt, während sie sich selbst daran bereichern.

Diese unerfüllten Bedürfnisse spielen aber auch eine Rolle in der Politik, die die Rahmen­­­be­­din­­gungen für unser Miteinander schafft, und in der Unter­ha­l­tungs­­­branche, die uns allzu oft nicht nur Spaß und gute Unter­haltung sondern auch Verdrängung oder Bestätigung unseres Leids “verkauft”. Und das nicht selten auf Kosten der Menschen, die neben einem außer­­ge­wöhn­­lichen Talent auch eine tiefe trauma­­be­­dingte Verzweiflung in sich tragen, die ihr Leben und die Karriere prägen und nicht selten auch zu Fall bringen.

Würden wir von einer Person mit gebrochenem Bein erwarten, dass sie mit Bestzeit den Sieg im Marathon holt? Dass der Gips und die Krücken sogar der entschei­­dende Vorteil gegenüber der Konkurrenz sei? Wohl eher nicht. Dennoch finden wir in Entschei­­dungs- & Verant­wor­tungs­­­po­­si­tionen und insbe­­sondere in den oberen Rängen der Macht viele Menschen, die für Eigen­­schaften und Verha­l­tens­­weisen Zuspruch finden, die eigentlich nur Folge von (oft frühen) trauma­ti­­schen Ereignissen sind. Wir betrauen diese Menschen – teilweise in tiefster Überzeugung – damit die Geschicke unserer Gesell­­schaft zu lenken und die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Je nachdem wie viel Trauma-Bewusstsein oder -Blindheit in die Politik und den politischen Diskurs einfließt, wirkt sich das massiv auf die Menschen und den gesamten Planeten aus. Eine Politik, die auf Basis von Trauma­­folgen agiert, schafft Rahmen­­­be­­din­­gungen, von denen wir wissen, dass sie ungesund sind – individuell und global.

Trauma ist eine Tatsache des Lebens.
Es muss kein lebens­langes Verhängnis sein.


(Peter A. Levine)

Trauma heilen statt neues Leid schaffen

Eine trauma­sen­sible Welt

Wie würde eine Welt aussehen, in der wir all die finan­zi­ellen Mittel, all die Zeit, Energie und Tatkraft usw., die derzeit in all die Dinge fließen, die nur noch mehr Leid und Traumata verursachen, stattdessen in eine flächen­deckende, allen zugängliche und völlig selbst­ver­ständ­liche Aufar­b­eitung von Traumata investieren würden? Ich bin überzeugt davon, dass jeder Cent und jede noch so kleine Bemühung in diese Richtung mehr nachhal­tigen Frieden, mehr Gerech­tigkeit und Gleich­be­handlung (egal welcher Perso­nen­gruppen) sowie tiefe Verbun­denheit bei gleich­zeitig mehr Autonomie, mehr echte Sicherheit und Gebor­genheit schaffen würde, als jede noch so große militä­rische Aufrüstung es jemals erzielen könnte.

Wir würden beschenkt mit mehr Verbun­denheit mit uns selbst, anderen Menschen und der gesamten Natur (von der wir – auch wenn wir uns oft als getrennt davon betrachten – ein Teil sind!) und das kann zu mehr Gesundheit und Wohlbe­finden individuell als auch im Großen und Ganzen führen. Denn ohne trauma­be­dingte Nöte bekommen auch Nachhal­tigkeit, Umwelt- und Naturschutz eine viel tragfä­higere und solidere Basis. Profitgier und politische Ausrich­tungen, die genau diese trauma­be­dingten Nöte/ nicht erfüllten Bedürfnisse ausnutzen, würden keinen Nährboden mehr finden. Und wir würden einer artge­rechten Haltung der Spezies Mensch wohl wieder deutlich näher kommen.

Oder wie Gabor Matés sinngemäß sagt: “Aktuell ist der Baum unseres gesell­schaft­lichen Lebens und unserer Politik von der Wurzel bis zur Frucht mit Traumata durchsetzt. Wenn es irgendeine Hoffnung auf eine andere Ernte gibt – eine Hoffnung, von der die Zukunft der Menschheit und des gesamten Planten abhängt -, müssen viele von uns das tun, wozu so viele führende Politi­ke­rinnen und Politiker nicht in der Lage sind: mutig nach innen schauen, um besser und auf ehrliche Weise nach außen und umher­schauen zu können.” Und je mehr von uns in der Lage sind und den Mut aufbringen, dies zu tun, umso besser für uns alle!

Eine Person kann den Unterschied machen! Diesen kraftvollen Satz finde ihn soooo wertvoll. Es ist wirklich erstaunlich, aber egal wie schlimm die Kindheit war, i.d.R. gibt es trotzdem ein Wesen – völlig egal ob die freundliche Nachbarin, eine Lehrkraft in der Schule, ein Hund, eine Katze,… – das den Unterschied gemacht hat. Das für einen Moment das Gefühl vermitteln konnte, die Welt ist nicht nur schlecht und bedrohlich. Peter Levine schildert an Hand seines Unfalls, bei dem er von einem Auto angefahren wurde, wie eine Ersthel­ferin für ihn den Unterschied machte und dafür sorgte, dass kein Trauma entstanden ist. Wir brauchen mehr solcher Ersthel­fe­rinnen und Ersthelfer. Es gibt so viele Möglich­keiten, wo eine Person einen Unterschied machen kann.

Eine Person kann den Unterschied machen!

Werde Dir dessen bewusst und sei auch Du für jemand anderen diese eine Person, die den Unterschied macht, wenn es gebraucht wird!


Habe den Mut ganz bewusst bei Dir selbst hinzu­schauen!

Wo entscheidest und handelst Du frei und wo wirst Du vielleicht beeinflusst durch Ereignisse, die Dein Gefühl von Sicherheit, Gebor­genheit, Verbun­denheit, Zugehö­rigkeit und/oder Autonomie irgendwann einmal erschüttert haben. Je mehr Mensch sich um ihre trauma­be­dingten “blinden Flecken” kümmern, umso leichter wird es, aus dem Teufels­kreis auszu­steigen, in dem trauma­ti­sierte Menschen andere Trauma­ti­sierte zu ihren Anführern machen und diese dann eine Welt erschaffen, die Leid und Trauma­ti­sie­rungen aufrecht erhält oder sogar verstärkt.

Mitgefühl ist keine Beziehung zwischen einem Heiler und einem Hilfe­su­chenden. Es ist eine Beziehung auf Augenhöhe. Nur wenn wir unser eigenes Dunkel kennen, können wir für das Dunkle in anderen da sein. Real wird Mitgefühl erst dann, wenn wir das Gemeinsame erkennen: unser Menschsein.


(Pema Chödrön; aus: “Geh an die Orte, die du fürchtest”)

Kann Trauma heilen und was bedeutet das?

Trauma­heilung/-integration

Wenn wir an einmalige Ereignisse denken – ein Schock­trauma wie z.B. einen Unfall – ist es für die meisten nachvoll­ziehbar, das Heilung möglich ist. Doch gerade bei einem Trauma aus dem Bereich der Bindungs- & Entwick­lungs­traumata und komplexen Trauma­ti­sie­rungen kommen bei betroffenen Personen nicht selten Zweifel auf, die durch Missver­ständ­nisse, Erwartungen und Frustration immer weiter geschürt werden. Dennoch ist auch für diese Menschen Heilung möglich. Es ist jedoch wichtig, sich nochmal vor Augen zu führen, dass Trauma­folgen nicht eine Summe von Symptomen sind, die es weg zu machen gilt, sondern es sich dabei um normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse handelt.

Unser Wesen, unser Sein hat in seiner Gesamtheit aus Körper, Geist (Kognition), Emotionen, usw. eine Reaktion auf und eine Umgangsform mit dem Geschehen entwickelt. Diese Reaktionen und Verhal­tens­muster sind gerade bei frühen und komplexen Traumata sehr vielschichtig und über lange Zeit erlernt und automa­ti­siert worden. Daher braucht es Raum, Zeit und ein ganzheit­liches Herangehen, um langsam und Schritt für Schritt die Gesamtheit aus Körper, Geist, Emotionen, usw. einzuladen diese Reaktionen und Verhal­tens­muster zu überdenken und neue zu entwickeln, erlernen und üben. Dies ist ein wirklich tiefer Lernprozess, der für die Heilung von Traumata – der Traumain­te­gration – so wichtig ist.

Erinnere Dich, das Trauma steckt nicht im Geschehen, sondern wir finden es im Körper, im Nerven­system. Deswegen ist es so wichtig, sich bewusst zu machen, dass für eine Heilung die Integration und das Arbeiten mit dem Körper­system entscheidend sind und es nicht ausreicht, sich nur vertiefend mit dem Ereignis selbst zu beschäf­tigen, ausein­an­der­zu­setzen und zu versuchen, dieses zu bewältigen.

Trauma­heilung ist ein tiefgrei­fender Prozess, der sehr viel mit Wandel und Veränderung auf vielen Ebenen zu tun hat. Das gesamte System erfährt einen “Umbau” und eine Neuaus­richtung, die sich auf den Körper, das Körper­gefühl, die Wahrneh­mungen, die Glauben­sätze, die Sicht auf Dich selbst, andere und die Welt auswirken und es ermöglichen die automa­ti­sierten Reaktionen zu trans­for­mieren und neue zu etablieren. Dieser enorme Weg wird nicht nur mit Heilung belohnt, sondern auch mit einer Persön­lich­keits­ent­wicklung, Poten­ti­a­lent­faltung und Bewusst­werdung, die ein riesen Geschenk für die Person selbst aber auch für die Welt sind.

Für den Heilungs­prozess braucht es zunächst einmal die Bereit­schaft, diesen Weg zu gehen. Das klingt vielleicht erstmal einfach, kann aber durch eventuell vorhandene, innere Überzeu­gungen erschwert werden, die gegen eine Erlaubnis zur Heilung sprechen. Außerdem braucht es ein unter­stüt­zendes, liebevolles und sicheres Umfeld und, wenn Du tiefer in Deinen Prozess einsteigen möchtest, auch eine trauma­the­ra­peu­tische Begleitung. Ein sicheres Umfeld schaffen, heißt auch, Dich von Einflüssen abzugrenzen, die Deinem Gefühl von Sicherheit schaden. Und es geht darum, die Sprache des Nerven­systems zu erlernen und zu verstehen.

Oft sind die ganz feinen und kleinen Verän­de­rungen im Laufe des Prozesses für die betroffene Person gar nicht so leicht greifbar. Es geht hierbei u.a. um Verän­de­rungen in den Beziehungen zu sich selbst, dem eigenen Körper, anderen Menschen, dem Umfeld,… die Anzeichen dafür sind, dass die Fähigkeit zur Selbst­re­gu­lation des Nerven­systems wächst und die Kapazität steigt, die eigenen Gefühle zu spüren und (aus)halten zu können, ohne in automa­tische Reaktionen zu verfallen (bzw. im ersten Schritt diesen Automa­tismus einfach erstmal zu bemerken).