Mitte Mai war ich auf der Hallig Langeness zu einem weiteren Modul der Naturtherapie Ausbildung. Das Thema war “Sinn & Sein – Das Wunder hier und jetzt auf diesem Planeten zu leben” und hatte auch mit Loslassen und Sterbeprozessen zu tun. Dort ist mir etwas Interessantes begegnet, dass ich an dieser Stelle gerne mit Dir teilen möchte – Hippokrates und Asklepios und ihre Bedeutung für Medizin und Heilung.
Hippokrates ist Dir vielleicht schon mal in Form des hippokratischen Eids begegnet, den Ärztinnen und Ärzte ablegen. Vielleicht hast Du auch schon mal von Asklepios gehört, z.B. im Zusammenhang mit dem Klinikträger, der diesen Namen nutzt. Aber wer waren Hippokrates und Asklepios und wofür stehen sie?
Hippokrates und Asklepios prägten die Heilkunst im antiken Griechenland. Sie verkörperten unterschiedliche Ansätze der Medizin und spiegelten unterschiedliche Philosophien und Methoden wider. Beide wurden auf ihre Weise verehrt und das Bemerkenswerte ist, dass historische Belege nahelegen, dass die hippokratische Medizin und das asklepische Heilen nicht gegeneinander, sondern miteinander und Hand in Hand für das Wohlergehen der kranken und behinderten Menschen der antiken Welt wirkten.
Der hippokratische Ansatz basiert auf…
- objektiven Beweisen sowie greifbaren und reproduzierbaren Daten und bezieht sich auf den Patienten.
- dem Einsatz der “äußeren Sinne” (sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken) der pflegenden bzw. medizischtätigen Person.
- Eingriffen von außen (z.B. Medikation, Operation, …) zumeist mit dem Ziel der Wiederherstellung der alten Ordnung und der Fortsetzung des Lebens möglichst wie vorher.
- der Ansicht, dass Leiden ein Problem ist, dass gelöst werden muss – und zwar indem man es neutralisiert, überwindet oder kontrolliert. Auch unser Sprachgebrauch – man kämpft gegen eine Krankheit, man hat sie unter Kontrolle oder sogar besiegt – verdeutlich wie sehr das Leiden / die Krankheit als Gegner oder gar Feind betrachtet wird.
- einer Ausbildung, die Wissen und Fertigkeiten vermittelt, die es ermöglichen in der Praxis Fakten zu interpretieren und das Wissen effektiv umzusetzen.
Der asklepische Ansatz basiert auf…
- subjektiven Erkenntnissen, Instinkten und Erfahrungen – ein Bewusstein, das die äußere, objektive Realität einschließt, aber vor allem die “inneren Sinne” der Emotionen, Instinkte, Intuition und das somatische Bewusstsein nutzt.
- “klinischer Subjektivität”, die darauf beruht, dass es unmöglich ist der Person in ihrem Leiden zu helfen, ohne in ihre Erfahrung mit dem Leiden hineinzutreten, was unweigerlich mit einem Bewusstsein des eigenen Leidens der pflegenden bzw. heilendtätigen Person (und ggf. eigener Auseinandersetzung damit) einhergeht.
- der Heilung des Leidens von Innen (z.B. sicheren Raum & neue Erfahrungen schaffen, Spiritualität, Rituale, Befähigung zum eigenen Weg, …) mit dem Wissen, dass Leiden ein Potenzial für Ganzheitlichkeit in sich birgt.
- der Ansicht, dass Leiden ein Problem ist, dass gelöst werden muss – und zwar indem man mit und nicht gegen diese Erfahrung geht, sich in die Tiefe der Erfahrung sinken lässt und Selbstheilungsimpulse gibt. Die Erfahrung des Durchlebens des Leidens verändert und man kehrt nicht zum Leben “wie vorher” zurück.
- einer Ausbildung, die stark durch Selbsterkenntnisse und -erfahrungen der pflegenden bzw. heilendtätigen Person geprägt ist.
Vermutlich ist Dir beim Lesen ziemlich schnell klar geworden, dass die Ansätze von Hippokrates eher in der Schulmedizin zu finden sind, wohingegen die Alternativmedizin dem asklepischen Ansatz näher steht. Doch das für mich wirklich Interessante ist folgendes: Während uns im Gesundheitssystem nach wie vor eher ein gegen- als ein miteinander von Schul- und Alternativmedizin begegnet oder vielleicht auch mal eine friedliche Ko-Existenz zweier Parallelwelten, gibt es einen medizinischen Bereich, der eine Ausnahme bildet – die Palliativmedizin.
In der modernen Palliativmedizin fließen die unterschiedlichen Ansätze von Hippokrates und Asklepios zusammen und gehen Hand in Hand. Sie stützt sich einerseits auf empirische Erkenntnisse, um Schmerzen zu lindern, Symptome zu behandeln und die Lebensqualität zu verbessern, und andererseits auf spirituelle Einsichten, wo es um Sinnstiftung und ganzheitliche Ansätze sowie die existenziellen, emotionalen und spirituelle Dimensionen des Leidens geht und diesem durch mitfühlende Präsenz sowie Beachtung der Werte und Überzeugungen der jeweiligen Person begegnet wird.
Warum geht das, was in der modernen Palliativmedizin möglich ist, nicht auch in allen anderen Bereichen der Medizin? Ich möchte nicht erst zu den Sterbenden gehören müssen, um von beiden Welten zu profitieren – und zwar nicht als Parallelwelten sondern Hand in Hand. Ich wünsche mir, dass das Vorbild der Palliativmedizin schnellstmöglich Einzug in die anderen medizinischen Bereiche erhält. Dazu braucht es Menschen, die dafür bereit und offen sind, diesen Weg zu beschreiten – sowohl von Seiten der Schul- als auch der Alternativmedizin aber eben auch uns alle, die genau diesen Umgang mit und diesen Heilungsweg von unseren Erkrankungen und Leiden einfordern. Wie geht es Dir? Was ist Dir wichtig? Welche Erfahrungen hast Du gemacht? |